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Industrie-Schweiz - News-Corner
 
30.08.2019
 
  
Schweizerische Normen-Vereinigung (SNV): CEO der SNV unterzeichnet «Gender Responsive Standards Initiative» der UNECE
    
Der genormte Mensch ist männlich - CEO der SNV unterzeichnet «Gender Responsive Standards Initiative» der UNECE

Beim aktuellen Diskurs rund um die Gleichberechtigung von Mann und Frau steckt der Teufel im Wort «gleich», denn Frauen und Männer haben andere Bedürfnisse und Voraussetzungen. Dies fängt bei der Raumtemperatur an und endet bei unterschiedlichen physiologischen Reaktionen auf Medikamente. Normen sind wichtige Grundlagen für Richtlinien und Technologien, die unseren Alltag und unsere gemeinsame Zukunft bestimmen. Es ist daher eminent, dass die Bedürfnisse von Frauen bei der Erarbeitung von Normen mitberücksichtigt werden und Frauen auch aktiv an der Normungsarbeit teilnehmen.

Der Mann als Referenzmodell für Normen
Normen gestalten unser Alltagsleben, indem sie Anforderungen und Qualitätsmerkmale von Produkten, Dienstleistungen und Prozessen festlegen. Im Bereich der Produktesicherheit haben Normen einen signifikanten Einfluss auf die Gesundheit von Menschen. Jedoch basieren die Referenzmodelle vieler Normen auf den körperlichen Eigenschaften von mitteleuropäischen und nordamerikanischen Männern. Obwohl Normen systematisch überarbeitet werden, bei ISO mindestens alle 5 Jahre, existieren noch Normen, welche die Unterschiede der Geschlechter zu wenig berücksichtigen. Sie sind geschlechterblind. Ein Beispiel dafür ist die eingangs erwähnte Raumtemperatur. Eine amerikanische Norm für die Gebäudeklimatisierung basiert auf dem Ruhestoffwechsel eines 40-jährigen Mannes. Der Ruhestoffwechsel von Frauen ist im Durchschnitt 20-30% tiefer.

Normen für Tastaturen, Medizinprodukte und Schutzkleider nicht auf Frauen abgestimmt
Auch die seit 1880 durchgesetzte Standardgrösse für Klaviertastaturen, die auf die Bedürfnisse der damaligen europäischen, männlichen Pianovirtuosen abgestimmt war, tat Frauen und Menschen mit kleinen Händen keinen Gefallen. Dabei variiert die Handgrösse extrem, nicht nur zwischen Männern und Frauen, sondern auch innerhalb von ethnischen Gruppen.

Kritischer wirkt sich die Nichtberücksichtigung der Unterschiede von Mann und Frau im Gesundheitsbereich aus. Ein Grossteil der Medikamentenstudien wird an jungen Männern durchgeführt. Diese unterscheiden sich physiognomisch von Frauen; sie sind grösser und haben einen geringeren Fettanteil. Auch Nebenwirkungen aufgrund zyklusbedingten Hormonschwankungen können mit jungen männlichen Medikamententestern nicht erfasst werden.

Nicht auf den weiblichen Körper abgestimmte persönlicher Schutzausrüstung gefährdet die Gesundheit und Sicherheit von Frauen. Der beratende Verteidigungsausschuss für Frauen in den militärischen Diensten, ein dem amerikanischen Verteidigungsminister unterstehendes Komitee, das Ratschläge und Empfehlungen rund um Soldatinnen abgibt, adressiert das Thema der nicht auf den weiblichen Körper abgestimmten Schutzausrüstung, schon seit 1978.

Das Problem betrifft nicht nur das Militär, auch im privaten Sektor in Branchen, wo Arbeitsausrüstung eine Schutzfunktion hat. Meist erhalten Frauen keine auf sie abgestimmte Schutzausrüstung, sondern schlicht und einfach die kleinste erhältliche Grösse der auf die Männer abgestimmten Ausrüstung. Eine Studie des englischen Gewerkschaft Kongresses TUC ergab, dass nur 29% der befragten Frauen, Schutzausrüstung speziell für Frauen erhielten. Dazu gaben 57% der Befragten an, dass die verwendete Schutzausrüstung ihre Arbeit behindere.

Bedürfnisse der Frauen kommen zu kurz
Werden Normen aber von einem rein männlichen Fachgremium erarbeitet, kommen die Ansprüche der Frauen zu kurz – nicht aus böser Absicht, sondern weil die Bedürfnisse nicht adressiert werden.

Wie in vielen anderen Bereichen der Wirtschaft und Gesellschaft sind Frauen auch bei der Normungsarbeit untervertreten, nach den Zahlen der United Nations Economic Commission for Europe (UNECE) beträgt der Anteil lediglich 25%, stark variierend nach Delegation, Land und Themenfeld.

Neben produktebezogenen, geschlechtsblinden Normen können auch Normen, welche Frauen stärken und sie vor Gefahr und Diskriminierung schützen möchten, einen unerwarteten negativen Einfluss auf ihre Beteiligung am Wirtschaftsleben haben. Insbesondere in Bereichen, wo die Arbeit stark geschlechtsspezifisch ist. So können Normen, welche hohe Qualitätsanforderungen an landwirtschaftliche Erzeugnisse stellen, dazu führen, dass meist von Frauen geführte Kleinunternehmen aus der Wertschöpfungskette ausgeschlossen werden, weil sie sich keine grossen Investitionen in ihre Qualitätsinfrastruktur leisten können und auch weniger Kredite erhalten. Somit gilt es bei der Festsetzung von Qualitätsanforderungen auch den Einfluss auf die lokalen Gemeinschaften, insbesondere die Rolle der Frauen, zu beachten.

Urs Fischer unterzeichnet Gender-Initiative der UNECE
Um künftig auch den Geschlechter-Aspekt in die Normung mit einzubeziehen, hat Urs Fischer, Geschäftsführer der Schweizerischen Normen-Vereinigung (SNV), am 10.07.2019 die «Gender Responsive Standards Initiative» der UNECE unterzeichnet. Mit der Unterzeichnung der Initiative verspricht die Schweizerische Normen-Vereinigung (SNV) ihre Normungsprozesse und auch ihre eigenen Normen geschlechtsgerecht zu gestalten, sowie einen Aktionsplan für die Geschlechtergleichstellung zu erarbeiten und zu implementieren. Dazu gehört auch die Erarbeitung von Massnahmen für die Teilnahme von mehr Frauen in Normengremien. Überdies sollen laufend Daten erhoben werden, welche die Fortschritte rund um die Geschlechtergleichheit nachvollziehbar machen, damit Erfolgsgeschichten geteilt werden können.

Mit dem Bewusstsein, dass Frauen nicht einfach kleinere Männer sind und Normen nicht geschlechtsblind sein dürfen, tragen wir zum Ziel der Geschlechtergleichstellung bei und befähigen Frauen und Mädchen zur Selbstbestimmung (SDG Nr. 5. Agenda 2030).


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